Atlantikprobe: 6 Tage von Tanger nach Lanzarote
Unsere längste Überfahrt steht uns bevor und das auf dem Atlantik. Es sind rund 640 Seemeilen (rund 1200 km) - mehr als doppelt so lang wie die bisher längste Überfahrt - und das nur zu zweit.
Tag 1 - Montag
In der Früh treffen wir noch die letzten Vorbereitungen - wir verstauen alles sicher, füllen unseren 170L Wassertank sowie 2x20 Liter Kanister voll und checken nochmal den letzten Wetterbericht. Sollen wir wirklich los? Wir sind uns unsicher. Für Tag 1 und 2 sind leichte Gewitter vorhergesagt. Ist es wirklich gescheit jetzt loszufahren? Wir checken nochmal das Wetter für die gesamte nächste Woche - wenn wir nicht jetzt losfahren, würden wir mindestens eine Woche in Tanger festsitzen, da entweder kein Wind oder Gegenwind vorhergesagt ist. Nach viel Überlegen entscheiden wir uns doch aufzubrechen. Wir gehen ins Marina Office um unsere Liegeplatzgebühren zu zahlen - 360 Dirham also knapp 35 Euro für drei Nächte. Dann geht’s noch zum Checkout. Wir müssen wieder zur Hafenpolizei und zum Zoll. Wir brauchen fast zwei Stunden, da wir auch unsere Drohne wieder zurückbekommen und die wo anders gelagert wird. In der Zwischenzeit checke ich immer wieder den Blitzradar - die dunklen Wolken kommen immer näher. War es wirklich eine gute Idee? Es gibt kein zurück mehr, da der Ausreiseprozess im Gange ist. Endlich bekommen wir die Drohne wieder und die Zollbeamten kommen noch einmal kurz an Bord. Dann lösen wir die Leinen.
Wohl wissend, dass der Ostwind uns zu Beginn gut aus dem letzten Teil der Straße von Gibraltar blasen wird, setzen wir nur das Großsegel im 3. Reff - also der kleinstmöglichen Größe. Der Start ist mit 25 Knoten Wind schon sehr sportlich - wir haben sogar Böen bis zu 38 Knoten. Aber wir sind gut vorbereitet und Vaquita steuert uns brav durch die Wellen. Wir fühlen uns sicher!
Es geht vorbei am Kap Spartel - wo Mittelmeer und Atlantik aufeinandertreffen. Nach einer Stunde wird der Wind wie erwartet schwächer - wir sind am offenen Atlantik und so löst sich der Düseneffekt der Straße auf. Wir entreffen das Großsegel und setzen auch unser Vorsegel. Wir wärmen unser vorgekochtes Curry und steuern relativ gemütlich in Richtung Sonnenuntergang. Gewitter hat uns zum Glück auch keines erwischt.
In der Nacht regnet es immer wieder und wir verbringen abwechselnd die Wachschichten unter Deck am Navigationstisch und schauen regelmäßig kurz aus der Luke heraus.
Tag 2 - Dienstag
Am Vormittag wird der Wind immer schwächer und wir müssen den Motor anwerfen. Die See ist ruhig und zwei kleine Vögel unterhalten uns. Sie rasten sich immer am Boot aus und sind nicht sehr scheu. Dreimal fliegt einer der beiden ins Boot und ich muss sie wieder hinaus scheuchen. Sie bleiben einige Stunden bei uns. Später begleiten uns auch noch ein paar verspielte Delfine.
Wir beschließen eine schnelle Süßwasserdusche an Deck zu nehmen. Wenn der Motor schon läuft, können wir das warme Wasser nutzen und die Bedingungen lassen es auch zu. Alle sind wieder frisch an Bord.
Es kommt wieder Wind auf und wir können ruhig durch die Nacht segeln.
Tag 3 - Mittwoch
Der Tag startet ruhig, doch der Wind dreht etwas und wir fahren immer weiter auf Marokko zu. Wir spielen gemütlich Würfelpoker, allerdings nimmt am späteren Nachmittag der Wind immer weiter zu. Wir segeln zuerst noch mit voller Besegelung, reffen dann wegen des zunehmenden Windes und der dunklen Regenwolken das Großsegel. Als es leicht zu regnen beginnt, reffen wir auch das Vorsegel - etwas zu spät, denn es fängt komplett zu schütten an und der Wind nimmt schlagartig zu. Wir sind in unserem ersten Squall. Das sind lokale Regen- oder auch Gewitterzellen - es kommt zu heftigem Regen, der Wind nimmt zu und wechselt meist die Richtung. Zum Glück haben wir nur einen Mini-Squall erwischt und nach 2 Minuten ist das Spektakel auch schon wieder vorbei. So schnell haben wir nicht mit dem ersten Squall gerechnet - ab jetzt werden wir besser darauf achten, denn man erkennt die dunklen Wolken im Normalfall ganz gut (zumindest untertags).
Nach dem Squall wird es immer unruhiger: der Wind wird immer mehr und auch die Wellen kommen nicht mehr von der Seite sondern von vorne. Sie werden auch kürzer und höher und bald kämpfen wir mit voll gerefften Segeln gegen Wind und Welle an.
Mein Papa schickt uns via Satellitentelefon das aktuelle Wetter und schreibt: “Nacht wird nicht so gemütlich. Kurs bis 05:00 ca 175 Grad. Hart am Wind (17 kn)” - Juhu!
Tag 4 - Donnerstag
Es war eine sehr ungemütliche Nacht, denn immer wieder stampft Vaquita gegen die Welle - teilweise mit einem lauten Bang! In der Früh kommen wir wieder in einen Squall aber zum Glück nimmt der Wind nicht weiter zu. Unser Kurs ist nach wie vor sehr unangenehm. Die Welle kommt gefühlt von allen Seiten - Kreuzseee - und wir fahren nach wie vor hart am Wind. Wir haben beide schlecht geschlafen und fragen uns warum wir uns das antun. Unser Freund und 3. Crewmitglied für die Atlantiküberquerung Stefan kommt Mitte November mit dem Flieger in 5 Stunden nach Lanzarote - wir hätten es auch einfacher haben können. Wir haben noch nicht mal die Hälfte geschafft. Frustrierend ist auch, dass weder Wind und Welle aus dieser Richtung in unserem ursprünglichen Wetterbericht angesagt waren. Wir sind an unserem moralischen Tiefpunkt. Wir ziehen auch in Erwägung noch einen Zwischenstopp in Marokko zu machen, wenn es nicht besser wird.
Doch im Laufe des Tages wird die Welle wieder länger, der Wind weniger, der Kurs nicht nur angenehmer, sondern auch die Richtung passt wieder. Wir kommen gut voran. Zur Stärkung gibt’s heute deftige österreichische Schinkenfleckerl.
Am Abend müssen wir einer Fischerflotte ausweichen, die sich über mehrere Seemeilen verteilt. Wir wollen keinesfalls in eines ihrer Netze fahren. Der Wind wird immer weniger und wir starten den Motor für die Nacht.
Tag 5 - Freitag
In der Nacht müssen wir wieder einer Fischerflotte ausweichen und machen so einen Umweg von 10 Seemeilen. In der Früh können wir endlich wieder langsam segeln bei sehr wenig Wind und wir genießen den herrlichen Sonnenaufgang. Ab Mittag müssen wir wieder Motoren, da der Wind komplett stirbt. Das Highlight des Tages ist eine Dusche und eine frische Garderobe. Ansonsten ist der Tag unaufregendend und sehr ruhig. Bei solchen Bedingungen ist eine Fahrt auf dem Atlantik gar nicht so schlimm. Wenn wir in dem Tempo weiterkommen sollten wir am Sonntag in der Früh ankommen. Also noch zwei Mal schlafen.
Kurz vor Sonnenuntergang kommt wieder etwas Wind auf. Nicht viel, aber unser Boot braucht bei Halbwind nicht viel um schnell zu fahren und so düsen wir mit 6 Knoten bei nur 7 Knoten Wind und keiner Welle. Wir genießen den Sonnenuntergang am Vordeck, der alle Farben spielt und die unterschiedlichen Wolkenformen in Orange- und Rottönen beleuchtet.
Tag 6 - Samstag
Der Tag beginnt sehr ruhig - wir haben immer noch wenig Wind und Welle. In der Früh brauchen wir noch den Motor um voranzukommen, doch langsam nimmt der Wind wieder zu und ab Mittag können wir wieder segeln. Wir genießen das Segeln, aber wir freuen uns auch sehr auf die Ankunft.
Am späten Nachmittag können wir langsam am Horizont etwas ausmachen: Land in Sicht! Nach 5 Tagen und 2,5 Stunden auf See können wir endlich Lanzarote sehen! Wir erkennen die steile Nordwand und freuen uns wie kleine Kinder! Doch wir wissen auch, dass es noch mehr als 15 Stunden dauern wird, bis wir unser Ziel, Playa Blanca, ganz im Süden der Insel erreichen werden.
Wie von meinem Papa vorhergesagt stirbt der Wind am Abend und so bergen wir nach dem wunderschönen Sonnenuntergang beide Segel und starten den Motor. Kurz darauf bekommen wir einen Security Funkspruch, dass zwischen Lanzarote und der marokkanischen Küste unbemannte Gummiboote treiben. Noch denken wir uns nicht viel dabei.
Tag 7 - Sonntag
Um 3 Uhr Früh fängt das Funkgerät laut zu piepsen an und wir hören dann den Mayday Relay Call - die Funkstelle in Arrecife gibt einen Mayday Call weiter: Zwischen Lanzarote und Marokko sind Personen über Bord gegangen und alle Boote in der Nähe werden gebeten Ausschau zu halten. Die angegebenen Koordinaten sind 60 Seemeilen östlich von Lanzarote - für uns viel zu weit weg um unterstützen zu können. Allerdings sehen wir ein Boot aus der Marina in Lanzarote auslaufen und sehen auf unserem Bildschirm, dass es sich um ein Rettungsboot handelt. Wir haben ein sehr ungutes Gefühl und sind uns ziemlich sicher, dass es sich um Flüchtlinge handelt. Der Funkspruch wiederholt sich alle 30 Minuten für die nächsten Stunden. Was genau passiert ist, erfahren wir allerdings nicht.
Der Sonnenaufgang zeigt sich in seinen schönsten Rottönen, die sich im spiegelglatten Atlantik widerspiegeln. Wir haben nicht gewusst, dass dieser große Ozean so ruhig und spiegelglatt sein kann. Um 7 Uhr laufen wir dann in der Marina Rubicon ein. Es fühlt sich ein bisschen wie Heimkommen an, denn hier haben wir vor 7,5 Jahren nicht nur segeln gelernt, sondern auch zum allerersten Mal einen Fuß auf ein Segelboot gesetzt. Und es war auch hier, wo Peter nach 3 Wochen Segelkurs beschlossen hat, dass wir eines Tages über den Atlantik segeln werden - damals hab ich die Schnapsidee noch belächtet. Doch jetzt sind wir hier, mit unserem eigenen Boot, an dem Ort wo wir segeln gelernt haben, haben unseren Liegeplatz gegenüber von Mojito, dem Segelboot, auf dem unsere Segelgeschichte begann und werden in ein paar Wochen tatsächlich über den Atlantik segeln. Manche (verrückten) Träume werden also doch wahr.
Unsere Überfahrt von Tanger nach Lanzarote in Zahlen:
Distanz: 655 Seemeilen, davon unter Segel: 439 Seemeilen
Zeit: 5 Tage 19 Stunden 25 Minuten
Durchschnittsgeschwindigkeit: 5,3 Knoten
Anzahl gesehener Sonnenuntergänge: 6
Entgangene Gewitter: 2
Tierwelt: zwei kleine, freche Vogerl, eine kleine Delfinschule
Umschiffte Fischerflotten: 2
Mayday Relay Call: 1